Verloren im Licht

»Encore Magazine ist international und vereint das Beste aus den Bereichen Kunst, Design und Film.« So beschreibt dieses stilvolle Online-Magazin sich selbst. Aus Sicht der Suchmaschinenfreundlichkeit finde ich eine komplett aus Flash gestaltete Website suboptimal, aber Design und Benutzerfreundlichkeit sind hier auf jeden Fall äußerst gelungen. Einziges Manko: die leisen Hintergrundgeräusche, von denen ich gar nicht wusste, dass sie angeschaltet waren. Ich dachte einen Abend lang, mein Lüfter machte piepende Geräusche. Am nächsten Vormittag klärte sich mein Irrtum dann auf.

Das Encore Magazine (Website nicht mehr erreichbar, Stand: 5. Februar 2022) sieht wie ein papiernes, gedrucktes aus und ist im Grunde auch genauso zu bedienen: Man klickt mit der Maus einfach auf die unteren Zeitschriftenecken, um vor oder zurück zu blättern.

Gestoßen war ich zufällig auf dieses Magazin, und ich war begeistert von den Fotos des brasilianischen Fotografen Gustavo Marx in der Ausgabe #42. Während ich diesen Artikel schreibe, ist das die aktuelle Ausgabe – später muss man sie sich heraus suchen mittels der Navigation rechts unten. Alle Ausgaben bleiben offensichtlich in archivierter Form zugänglich.

Der Artikel mit den Fotos von Gustavo Marx ist betitelt: »Lost in Light«. Ich weiß nun nicht, ob man sich gerade im Licht verirren kann, eher doch wohl in der Dunkelheit. Wie auch immer – die Fotos zeigen zwei Models, die manchmal gemeinsam, manchmal allein in Licht getaucht sind oder aber vom Licht auch nur gestreift werden.

Und das ist so gekonnt umgesetzt, dass ich absolut fasziniert bin von diesen Bildern. Das Licht ist ja beim Fotografieren auch mein Thema, und ich bin der Meinung, dass die schönsten Motive ohne das richtige Licht einfach uninteressant aussehen und man im Umkehrschluss auch Mo­ti­ven, die an sich nicht viel hergeben, durch eine geschickte Be­leuch­tung einen großen Reiz verleihen kann.

Nun, bei Gustavo Marx geben natürlich die Motive, diese hübschen Mo­dels, an sich schon viel her. Doch wie er sie durch Streiflicht, Gegenlicht und sogar frontales Licht, das eins der Models die Augen zusam­men­knei­fen lässt, so gekonnt in Szene setzt, das ist einfach »wow« und zeigt, wie perfekt dieser Fotograf sein Handwerk versteht.

Schotterfeld-Schreibtisch

Das ist doch mal eine coole Design-Idee: nach dem Foto einer Hütte, die auf einem Schotterfeld steht, einen Schreibtisch bauen!

Gravel Plant Desk

Leider fällt mir nichts weiter ein, was ich dazu schreiben könnte. Für solche Kurzmitteilungen oder Links zu interessanten Artikeln böte sich vielleicht neben dem normalen Blog so ein Microblog an, oder? Ich habe da schon was in der Mache, aber ich muss noch das Design anpassen etc. Vielleicht ist es auch eine Schnapsidee … ausprobieren …

Wie kreativ kann man sein?

Natürlich muss man in einem gestalterischen Beruf kreativ sein.

Keine Website soll aussehen wie eine, die man früher schon einmal gestaltet hat. Und schon gar nicht wie eine, die jemand anders gestaltet hat. Und mit Flyern, Foldern und was es sonst noch alles gibt, ist es genauso. Andererseits lässt sich das Rad eben auch nicht neu erfinden – und wenn doch, wäre das kaum sinnvoll. Denn erstens gibt es all­ge­mein­gültige, ziemlich klar definierte Gestal­tungs­prin­zipien und zweitens haben sich bestimmte – wenn auch, kulturell bedingt, teilweise von einander abweichende – Seh- und Benutzungsgewohnheiten etabliert. Wenn man die ignoriert, leidet die Benutzerfreundlichkeit, und die Besucher werden ganz schnell die Website wegklicken oder den Prospekt in den Papierkorb werfen.

Aber wie kreativ kann man dann überhaupt sein?

Oft liest man, es komme auf die Kombination vorhandener Bauteile an, besser noch: auf die Kombination von Bestandteilen, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Ja, das stimmt, so kann man sicherlich auf Ideen für pfiffige neue Produkte kommen. Aber um etwas völlig Neues geht es ja oft gar nicht. In meinem Metier zum Beispiel, dem Webdesign, gibt es verschiedene »Bausteine«, zwischen denen man die Wahl hat und die man kombinieren kann: eckige/abgerundete Kanten, gerade/geschwungene Linien, Schlag­schatten oder eine flache Wirkung, kalte/warme Farben, Navigationsmenü oben oder Textlinks in der Seitenleiste und so weiter und so fort.

Trotzdem stößt man bei all der Kombiniererei ziemlich bald an die natürlichen Grenzen. Damit muss man halt leben. Dennoch kann jede Website individuell aussehen. Wie man das letztlich erreicht, ist eine Frage, die sehr schwer zu beantworten ist, finde ich. Da spielen solche Sachen wie Erfahrung, viel Übung, Intuition, ein gutes Gespür für Form- und Farbharmonien und andere Dinge eine Rolle. Und sehr viel macht gutes Fotomaterial aus. Ein passendes Bild als Kopfbanner, das sich harmonisch in die Gesamtgestaltung einfügt, macht schon einiges her.

Aber die Frage bleibt offen, ob und wie man sich Kreativität antrainieren kann und welche Berufe überhaupt Kreativität erfordern. Hierauf gibt ein interessanter Artikel Antworten:
Mythos Kreativität – Abschied von den Klischees.

Ob die Kreativität nun ein Mythos ist oder nicht – ich behaupte, dass man, egal auf welchem Gebiet, nur dann wirklich schöpferisch wirken kann, wenn man sich intensiv mit ebendiesem Fachgebiet auseinander setzt.


Torsten Kelsch